Springe direkt zu Inhalt

Workshop IV: Biologische Gefahren – Prävention, Reaktion und Wahrnehmung durch die Bevölkerung

Workshop des Forschungsforums zu Gesundheitsschutz in einer vernetzten Welt

Rund 50 Expertinnen und Experten trafen sich am 28. und 29. Juni 2011 zu einem Workshop des Forschungsforums Öffentliche Sicherheit an der Freien Universität Berlin, um Biologische Gefahren als Herausforderung für Sicherheit in einer Gesellschaft zwischen Wissenschaft, Politik und Behörden zu diskutieren. Im Mittelpunkt standen Prävention und Bewältigung globaler Seuchenausbrüche wie SARS, „Schweinegrippe“ - oder auch der jüngste Ehec-Ausbruch in Deutschland. Außerdem die Frage, wie die Bevölkerung diese Gefahren wahrnimmt, wie sie damit umgeht und welche Bedingungen sich daraus für eine Risiko- und Krisenkommunikation ableiten.

Am ersten Tag wurden zwei eigens für das Forschungsforum angefertigte Studien zum Thema vorgestellt: Dr. Christine Uhlenhaut zu Prävention und Reaktion am Beispiel der Influenza-Pandemie, SARS und anderer Erkrankungen und Dr. Jutta Milde und Lars Günther zu Risiko- und Krisenkommunikation im Zusammenhang mit gesundheitlichen Risiken (www.schriftenreihe-sicherheit.de).

Die interdisziplinären Fachbeiträge wurden von Prof. Dr. Helge Karch, dem führenden Experten für Enterohämorrhagische Escherichia coli (Ehec) und Leiter des Konsiliarlaboratoriums für Hämolytisch-Urämisches Syndrom (HUS) an der Universität Münster, angeführt. Er berichtete über den aktuellen Stand der Ausbreitung und Bekämpfung des gefährlichen Durchfall-Erregers. Durch die Referenzstamm-Sammlung von HUS-Erregern in seinem Hause, die 42 repräsentative EHEC-Stämme umfasst, konnte der gefährliche Bakterienstamm innerhalb von drei Tagen identifizierte werden. Wesentlich länger hatte es gedauert, bis die Meldung vom Ausbruchsgeschehen bei ihm bzw. beim Robert-Koch-Institut eingegangen war. Die Teilnehmer waren sich einig, dass diese Zeit verkürzt werden müsse. Uneinigkeit herrschte jedoch bei der Frage nach dem wie. Als effizient und schnell beschrieb Prof. Dr. Lothar H. Wieler, Tiermediziner und Zoonosen-Experte, das Meldewesen bei Tierseuchen. Danach wird vom Ereignis vor Ort über eine bundesweit einheitliche Software direkt an die verantwortliche Bundesbehörde gemeldet. Die höheren Anforderungen an den Datenschutz in der Humanmedizin könnten durch anonymisierte Daten erfüllt werden, stellten die Experten in der Diskussion fest. Prof. Wieler zeigte anhand der Zoonose-Erreger, die den Großteil der sog. „emerging diseases“ ausmachen, die enge Interdependenz zwischen Tiergesundheit und humaner Gesundheit und stellte das Konzept „One Health“ vor. Prof. Dr. René Gottschalk, Leiter des Gesundheitsamtes Frankfurt am Main, trat der weit verbreiteten Auffassung entgegen, bei der „Schweinegrippe“ habe es sich letztlich nur um einen Fehlalarm gehandelt. Der Krankheitsverlauf war zwar überwiegend milder als erwartet, die Ansteckungsrate aber extrem hoch und es waren untypischerweise junge Erwachsene und Schwangere am stärksten betroffen. Würde man nicht nur die Zahl der Toten, sondern die Anzahl der verlorenen Lebensjahre betrachten, so wäre die „Schweinegrippe“ mit der Hongkong Grippe von 1957 vergleichbar. Beispielhaft dafür, dass uneinheitliches und widersprüchliches Krisenmanagement vorprogrammiert war, führte Gottschalk 16 unterschiedliche Landespandemiepläne und über 400 kommunale Pandemiepläne an.

Der Wahrnehmung durch die Bevölkerung widmeten sich folgende Beiträge. Eher selten sind Risiken persönlich erfahrbar, weshalb die Wahrnehmung meist nicht auf individueller Ebene beginnt. Medien üben auf die Beurteilung eines Risikos einen besonders großen Einfluss aus. Unter- oder Überschätzung eines Gesundheitsrisikos sind oft die Folgen. Die Leiterin der Kommunikationsabteilung im Bundesinstitut für Risikobewertung, PD Dr. Gaby-Fleur Böl, zeigte, dass die Bewertung durch Laien vor allem mit der Bekanntheit des Risikos, der „gefühlten“ Kontrollierbarkeit und dem Katastrophenpotenzial zusammenhängt. Gleichzeitig leben Menschen in der Illusion, dass es bei entsprechendem Aufwand möglich sei, Risiken und damit Unsicherheiten zu beseitigen. Die im europäischen Vergleich sehr niedrige Impfrate während der „Schweinegrippe“ führte zu einer grundsätzlichen Betrachtung von Impfakzeptanz und Impfskepsis durch Dr. Sabine Reiter, Mitarbeiterin am Robert-Koch-Institut. Mit Ausnahme der Pockenimpfung, waren in der Bundesrepublik Impfungen nie verpflichtend, weshalb ihre Akzep¬tanz eine zentrale Rolle spielt. Dabei ist mit einer paradoxen Reaktion der Bevölkerung zu rechnen: Finden Impfungen eine hohe Akzeptanz und sinkt als Folge das Risiko einer Erkrankung, so schwindet die Wertschätzung der Impfungen. Die Öffentlichkeit nimmt aufgrund der sinkenden Fallzahlen die Komplikationen, die mit einer Infektionserkrankung zusammenhängen, kaum mehr wahr – die Neben¬wirkungen einer Impfung werden tendenziell überschätzt.

Am zweiten Tag erarbeiteten drei interdisziplinäre Arbeitsgruppen Thesen und Handlungsempfehlungen für die Abschlussdiskussion mit der Politik. Der Vorsitzende des Steuerungskreises des Forschungsforums, der Bundestagsabgeordnete Hartfrid Wolff (FDP) und sein Stellvertreter, der Abgeordnete Dr. Konstantin von Notz (Bündnis 90 / die Grünen) waren gekommen.

Festgestellt wurde beispielsweise, dass die Globalisierung ungewollt für eine schnellere Ausbreitung von alten und neuen Erregern sorgt: Mobilität und Vernetzung machen auch Menschen zu Nachbarn, die am anderen Ende der Welt leben. Noch unterhalb der Inkubationszeit hat sich der Erreger - bei der „Schweinegrippe“, durch den infizierten Menschen, im Falle von Ehec durch das infizierte Lebensmittel - großflächig verteilt. Durch die Reisetätigkeit bzw. die Lebensmittel-Logistik entsteht ein Netz von Ausbreitungswegen, die nicht mehr rückverfolgbar sind. Eine Antwort auf diese Ausbreitungsdynamik müsse entweder eine Verlangsamung sein – eine eher unrealistische Forderung - oder eine Beschleunigung der Bewältigungs- und Management-Strategien. In diesem Zusammenhang wurden die für die Öffentlichkeit unübersichtlichen politischen Zuständigkeiten auf vertikaler Ebene – Zuständigkeit der Länder für den Katastrophenschutz - und auf horizontaler Ebene– die unterschiedlichen Ressorts betreffend -  genannt. In dem seltenen aber herausfordernden bundesweit bedeutsamen Krisenfall scheint dieses System zu träge zu sein. In der Kommunikation mit Medien und Öffentlichkeit habe sich immer wieder gezeigt, dass eine geeignete Person oder eine zentrale Stelle, mit der die Bevölkerung die jeweilige Krise identifizieren kann, fehlt. Das Ziel müsse „Krisenkommunikation und Krisenmanagement aus einer Hand“ sein, so der Bundestagsabgeordnete Konstantin von Notz. Auch wurde die dauerhafte oder fallbezogene Ernennung eines Bundesarztes oder Chief Medical Officers genannt, jedoch von anderer Seite wieder verworfen. Der Vorschlag des Bundestagsabgeordneten Hartfrid Wolff, im Rahmen eines Staatsvertrages des Bundes mit den Ländern die koordinierende und bündelnde Stelle eines Bevölkerungsschutz-Inspekteurs einzurichten, stieß ebenfalls auf geteiltes Echo. Eine weitere Botschaft war, dass Kommunikation und Wahrnehmung nicht nach logischen Gesichtspunkten verlaufen und sich deshalb Politik und Experten auch auf den Umgang mit „gefühlter Sicherheit“ einstellen müssten.

 

Für Rückfragen stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung:

Sekretariat

Helga Jäckel

Forschungsforum Öffentliche Sicherheit

Fabeckstr. 15, 14195 Berlin

Tel +49 (0)30 838 57367, Fax +49 (0)30 838 57399,

helga.jaeckel(at)fu-berlin.de