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Workshop I: Sicherheitsforschung; Risiko- und Krisenkommunikation

22./23. März 2010, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften

Vor sechs Monaten hat das Forschungsforum Öffentliche Sicherheit an der Freien Universität Berlin seine Arbeit aufgenommen und trat am 22. und 23. März mit einem Auftakt-Workshop erstmals an die Öffentlichkeit. Mehr als 50 Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren hierzu an die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften gekommen. Prof. Jochen Schiller, Leiter des Forschungsforums und Vizepräsident der Freien Universität Berlin, präsentierte zu Beginn Absicht und Ziele des Projektes.

Drei weitere Mitglieder des Steuerungskreises, dem Innenpolitiker aus allen fünf Bundestagsfraktion angehören, begrüßten die Anwesenden. Der Abgeordnete Hartfrid Wolff (FDP) beschrieb die Parlamentsinitiative „Zukunftsforum Öffentliche Sicherheit“, aus der 2008 fraktionsübergreifend das Grünbuch „Risiken und Herausforderungen für die Sicherheit in Deutschland“ hervorgegangen war, als Ausgangspunkt des Projektes. Dr. Manfred Schmidt, Abteilungsleiter im Bundesinnenministerium des Innern und Prof. Wolf-Dieter Lukas, Abteilungsleiter im Bundesministerium für Bildung und Forschung - aus dessen Forschungsprogramm auch dieses Projekt gefördert wird – zeigten den heutigen Bedarf für Vernetzung, Koordination und Information sowie offene Fragen im Bereich Sicherheitsforschung auf.

„Die Sicherheitsforschung gibt es nicht“ sowenig wie nur „ein wichtiges Sicherheitsthema der Zukunft“ und: „Sicherheitsforschung ist immer auch Unsicherheitsforschung“ - so lauteten die zentralen Thesen aus einer Online-Erhebung unter 27 Expertinnen und Experten in Sicherheitsfragen, allesamt Vertreter ganz unterschiedlicher Fachdisziplinen: Naturwissenschaften und Technik, Rechts-, Sozial-, Geistes- und Kulturwissenschaften. Die Studie war im Vorfeld des Workshops von Dr. Lars Gerhold, wissenschaftlicher Koordinator des „Forschungsforums Öffentliche Sicherheit“, durchgeführt worden und bildete den Ausgangspunkt für die anschließende Fachdebatte, die sehr engagiert verlief. Die Auswertung der Studie eröffnete das Feld für eine ungewöhnlich offen geführte Diskussion über ganz unterschiedliche Perspektiven auf das Thema Sicherheit.

Zusätzliche Dynamik bekam die Debatte durch den Beitrag von Prof. Wolf R. Dombrowsky, der die eigentlichen Herausforderungen für Sicherheit in dillemmatischen Situationen, die sich aus den heutigen hochkomplexen, weltumspannenden (Meta-)Systemen ergeben, sieht. Unter „Unentscheidbarkeitskatastrophen“ werde die Welt ächzen, wenn es der Politik nicht gelänge, diese Situationen wieder auf Entscheidbarkeit „zu bürsten“, so der Wissenschaftler.

Dass solche inter- und transdisziplinären Debatten notwendig sind, darüber waren sich die Workshop-Teilnehmer rasch einig. Denn seit 2004 hat sich, angestoßen durch die Sicherheitsforschungsprogramme auf nationaler und EU-Ebene, eine schier unübersehbare Zahl meist technisch-naturwissenschaftlicher Forschungsprojekte entwickelt, welche nun stärker in Austausch treten sollen. Es zeigte sich, dass Sicherheit kein klar definierter Begriff, sondern Querschnittsthema ist. Sicherheitsforschung ist – mit unterschiedlichen Schwerpunkten - letztlich Gegenstand  verschiedenster Disziplinen.

Der zweite Tag hatte Risiko- und Krisenkommunikation zum Gegenstand, ein Thema, das in Krisen über Erfolg und Misserfolg entscheidet, und deshalb auch im Grünbuch als besonders bearbeitungsbedürftig eingestuft wurde. Drei Impulse leiteten die Thematik ein.

Prof. Christian Wietfeld erläuterte die Herausforderungen, die sich für Informations- und Kommunikationstechnologie ergeben: die vielfältigen, ganz unterschiedlichen Anforderungen der Rettungskräfte und Akteure an die Kommunikationstechnik und die rasante technische Entwicklung könnten nur durch „Datenföderation“ sowie eine Kompatibilität, gar Hybridisierung unterschiedlicher Systeme beantwortet werden. Einen weiteren Ansatz sieht er in IKT-gestützten Sensorsystemen, die über eine weite Distanz Gefahrstoffe detektieren, auswerten und darstellen können.

Prof. Peter Wiedemann, widmete sich der Thematik „Krisenkommunikation und Bevölkerung“. Menschen agieren in Krisensituationen mit begrenzter Rationalität und weniger prinzipenfest und moralisch als sie es von sich selbst annehmen.  Strategien  für Krisenkommunikation müssen also in Rechnung stellen, dass über Appelle das Verhalten der Bevölkerung schwerlich zu beeinflussen sein wird. Vielmehr müssten Bedingungen geschaffen werden, die den Menschen einen „Anstoß“ für richtiges i. S. von sozialem Handeln geben.

Prof. Juliana Raupp beleuchtete das Thema im Zusammenhang mit Medien und zeigte, in welchem Maße die Wahrnehmung eines Ereignisses als Krise sowie ihre Bewältigung von Medien beeinflusst werden. In ihrer Fallstudie zur Schweinegrippe wurde deutlich, dass sich die Medienberichterstattung von der Frage der Gefährlichkeit des Virus oder der Krankheit wegbewegte, hin zu den Themen „Zweiklassenmedizin“ und „Kampagne der Pharmaindustrie“. Diese beiden Deutungsrahmen dominierten und bildeten die Grundlage für eine sekundäre, eine publizistische Krise.

Die Arbeit in den Arbeitsgruppen und die anschließende Diskussion machte für alle drei Felder weitergehende Fragen und zusätzlichen Forschungsbedarf deutlich.

Zusammenfassend ließe sich der Bedarf auf dem Gebiet der Sicherheitsforschung so skizzieren: Übersicht über die Forschungslandschaft, Vernetzung der Fachdisziplinen untereinander, Verbindung zu Politik und Bedarfsträgern, eine Verständigung über die gesellschaftliche Zielsetzung von Sicherheit unter heutigen und zukünftigen Herausforderungen und schließlich die Identifikation zukünftig forschungsrelevanter Fragestellungen. Das Forschungsforum Öffentliche Sicherheit will hierzu seinen Beitrag leisten.

Mit dem Workshop ist ein Anfang gemacht. Zurzeit läuft die Auswertung der Vorträge, der Diskussionen sowie der internen Sitzungen von Steuerungskreis und dem mit 15 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus verschiedenen Disziplinen besetzten wissenschaftlichen Beirat. Der nächste Workshop findet im Herbst 2010 statt.

Marie-Luise Beck