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Workshop XVII

Das Forschungsforum Öffentliche Sicherheit gestaltete auch beim vierten BMBF Innovationsforum "Zivile Sicherheit" eine Programmsäule: Einsatzkräfte in Praxis und  Forschung. Die Gesamtveranstaltung stand unter dem Motto „Zivile Sicherheit: analog und digital“ und fand am 19./20. Juni 2018 im Café Moskau in Berlin statt.  

In drei Sessions entwickelte das Forschungsforum Öffenltiche Sicherheit gemeinsam mit den Teilnehmenden in Kleingruppendiskussionen Handlungsempfehlungen für Politik und Entscheider_innen, die in einer Paneldiskussion am 20. Juni durch Expert_innen validiert wurden:

19.Juni 2018, 13:00 Uhr bis 14:30 Uhr

Session 1 A: Die Sicherheit und Resilienz von Einsatzkräften

Moderation: Helga Jäckel, Forschungsforum Öffentliche Sicherheit

Impulsvortrag: Dr. Berenike Waubert de Puiseau, Bundesanstalt Technisches Hilfswerk

Einsatzkräfte des Bevölkerungsschutzes sind vielen physischen und psychischen Belastungen ausgesetzt und müssen sich souverän in gefährlichen Einsatzsituationen bewegen. Dies trifft vor allem auf Großschadenslagen oder Einsätze zu, bei denen das eigene Wohnumfeld oder die Familie betroffen sind. Auch die zunehmende Belastung durch Angriffe von Außenstehenden oder Betroffenen selbst macht es notwendig, die Resilienz und Widerstandsfähigkeit von Einsatzkräften zu stärken, um Belastungen zu reduzieren und die Einsatzfähigkeit lange zu erhalten. Um solche Situationen zu bewältigen, greifen Einsatzkräfte auf unterschiedliche Ressourcen und Bewältigungsstrategien zurück. Im Rahmen einer Befragung von über 700 Einsatzkräften konnten verschiedene soziale und institutionelle Ressourcen (z. B. organisationsinterne Nachsorgeangebote) identifiziert werden, die dazu beitragen können, die Resilienz der Einsatzkräfte zu erhöhen.

 In dieser Session wurden folgende Fragen in Kleingruppen behandelt:

  1. Wie kann man die Wertschätzung von Einsatzkräfte steigern?

  2. Wie kann man die Teilnahmehäufigkeit an und die Akzeptanz von präventiven Schulungsmaßnahmen fördern?

  3. Wie kann man die Teilnahmehäufigkeit an und die Akzeptanz von Nachsorgeangeboten fördern?

  4. Inwiefern können Spontanhelfende dazu beitragen, die Resilienz der Einsatzkräfte unterstützen?

Die Diskussion wurde mit einem kurzen Impulsvortrag von Dr. Berenike Waubert de Puiseau eingeleitet, die Leiterin des Einsatznachsorgeteams des Landesverbands Nordrhein-Westfalen der Bundesanstalt Technisches Hilfswerk ist. Sie plädierte für ein Umdenken der Einsatzorganisationen, eine Anwendung des Arbeitschutzgesetzes auch auf ehrenamtliche Einsatzkräfte, geschultes Fachpersonal, aber auch wissenschaftlich begründete Standards für die Einsatznachsorge.

 Die Wertschätzung von Einsatzkräften soll nach Meinung der Experten und Expertinnen über Aufklärungsarbeit außerhalb der Organisationen verbessert werden. Wenn die Bevölkerung mehr über deren Arbeit weiß, wird sich das positiv auf die Wahrnehmung auswirken. Die Akzeptanz und die Teilnahme an primärpräventiven bzw. Nachsorgeangeboten sollen unter anderem durch eine Sensibilisierung der Führungskräfte erreicht werden, die mit „gutem Beispiel“ vorangehen und so Hemmungen abbauen helfen. Es wurde auch angeregt, die Nachbereitung von Einsätzen zu einem Standard zu erheben bzw. verstärkt digitale Angebote in diesem Bereich einzusetzen. In Bezug auf Spontanhelfende und deren Einsatz zur Unterstützung von Einsatzkräften wünschten sich die Teilnehmenden eine Art Grundausbildung und eine Nutzung vorhandener Strukturen, um diese Helfenden besser einbinden zu können.

Projekt: REBEKA

19. Juni 2018, 15:15 Uhr bis 16:45 Uhr

Session 2 A: Subjektive Sicherheit

Moderation: Roman Peperhove, Forschungsforum Öffentliche Sicherheit

Impulsvortrag: Prof. Dr. Bernhard Frevel, Fachhochschule für öffentliche Verwaltung NRW

Wie lässt sich das subjektive Sicherheitsempfinden eines Menschen verstehen? Aus der Forschung ist bekannt, dass eine Vielzahl von Faktoren auf das Sicherheitsempfinden wirken.

In der Session soll das Sicherheitsempfinden exemplarisch für Fahrgäste im öffentlichen Personenverkehr (ÖPV) betrachtet werden. Obwohl der ÖPV grundsätzlich sicher ist, nehmen Fahrgäste die Situation oft anders wahr. Das Ziel der Forschung und der Diskussion ist daher, wie neben der objektiven auch die subjektive Sicherheit erhöht werden kann. Aktuelle Erkenntnisse der sozialpsychologischen bzw. sozialwissenschaftlichen Forschung müssen hierbei berücksichtigt werden.

In dieser Session wurden folgende Fragen in Kleingruppen behandelt:

  1. Sollten (Sicherheits-)Maßnahmen (im ÖPV) zur Verbesserung des subjektiven Sicherheitsempfindens dynamisch an soziodemografische Situationen im ÖPV angepasst werden?

  2. Die subjektive Sicherheit in einem Quartier ist geprägt von unterschiedlichen Einflüssen. Welche Zusammenhänge bestehen zwischen dem öffentlichen Raum und dem subjektiven Sicherheitsempfinden?

  3. Der Bahnhof und das umliegende Viertel gelten vor allem in der Presse häufig als Kriminalitätsschwerpunkt und als unsicher. Wie ist das bei Ihnen, fühlen Sie persönlich sich hier sicher?

  4. In der politischen Diskussion um Sicherheit im öffentlichen urbanen Räumen wird häufig eine Erhöhung der Präsenz von Sicherheitspersonal gefordert. Welchen Einfluss hat die Erhöhung der Präsenz von (unterschiedlichem) Sicherheitspersonal auf das subjektive Sicherheitsempfinden?

Die Diskussion wurde mit einem kurzen Impulsvortrag von Prof. Dr. Bernhard Frevel, Fachhochschule für Öffentliche Verwaltung NRW, eingeleitet. Stellschrauben zur Erhöhung der subjektiven Sicherheit im ÖPV liegen seines Erachtens im technischen Bereich (Kameras, Zugangskontrollen), in der räumlichen Gestaltung von Bahnhöfen, in sichtbarer Präsenz von Sicherheitsakteuren, innovativen Prozessgestaltungen (Buseinstieg beim Fahrer), verbesserter Öffentlichkeitsarbeit, neuer gesamtgesellschaftlicher Nutzungskonzepte aber auch einer Kooperation aller involvierten Akteure.

Die Experten und Expertinnen in den Kleingruppen ergänzten noch, dass das Sicherheitspersonal ansprechbar sein müsse und nicht noch zum Unsicherheitsempfinden beitragen dürfe. Vertrauen kann auch vergrößert werden, indem Bahnhöfe und die umliegenden Gebiete durch Geschäfte und Cafés belebt werden, so dass sich auch vulnerable Gruppen dort aufhalten möchten. Der Einfluss architektonischer Maßnahmen auf das Sicherheitsempfinden wurde nochmals hervorgehoben: helle Wege sowie offene Gestaltung tragen maßgeblich zur Wohlfühldichte bei.

Projekte: WiSima, DiverCity, SiBa, Plus-i

19. Juni 2018, 17:30 Uhr bis 19:00 Uhr

Session 3 A: Lageinformationen aus den sozialen Medien

Moderation: Helga Jäckel, Forschungsforum Öffentliche Sicherheit

Impulsvortrag: Stefan Martini, Universität Wuppertal und VOST

Die Erstellung von Lagebildern ist eine zentrale Aufgabe in der Einsatzbewältigung, um im Ereignisfall eine möglichst effektive Schadensbekämpfung zu ermöglichen. Großschadensereignisse können im zeitlichen Verlauf eine erhebliche Dynamik entwickeln, sodass komplexe Informationslagen entstehen. Bevor Einsatzkräfte überhaupt vor Ort sind, stehen in den sozialen Medien häufig schon Informationen bzw. Bild- und Videomaterial von der Bevölkerung zur Verfügung, die für die Bewältigung der Lage relevant sein können. Erreichen Informationen aus den sozialen Medien das Lagezentrum, müssen dort Entscheidungen getroffen werden, die ggf. a) auf unvollständigen Informationen beruhen und b) deren Richtigkeit möglicherweise nur bedingt überprüft werden konnte.

In dieser Session wurden folgende Fragen in Kleingruppen diskutiert:

  1. Wie lassen sich Lageinformationen aus sozialen Medien in die Einsatzbewältigung integrieren?

  2. Welche Lageinformationen aus den sozialen Medien können die Lagedarstellung verbessern?

  3. Wie lassen sich Lageinformationen aus sozialen Medien überprüfen?

  4. Welche Unterstützung zur Nutzung von digitalen Lageinformationen wird benötigt?

Die teilnehmenden Experten und Expertinnen brachten ihr Wissen und ihre Perspektive ein und erarbeiteten Ideen und Lösungsansätze für die Fragestellungen. Die Diskussion wurde mit einem kurzen Impulsvortrag von Stefan Martini, Universität Wuppertal, eingeleitet. Er stellte die Arbeit des in Deutschland neuen VOST – Virtuals Operation Support Teams bei der Bundesanstalt Technisches Hilfswerk vor und erklärte wie Social Media in den Bevölkerungsschutz einbezogen werden kann. Das VOST will Vertrauen in Meldungen aus sozialen Medien schaffen und die Einsatzkräfte am Einsatzort mit digitalen Informationen unterstützen. Durch die Auswertung von sozialen Medien können beispielsweise Aussagen über Personendichte am Einsatzort getroffen oder Hilfe zur Lageerkundung geleistet werden. Der große Vorteil von VOST: Es handelt sich um eine neue Form des kooperativen Handelns, da das Team nicht vor Ort sein muss, um die Einsatzkräfte zu unterstützen.

Hinsichtlich der Leitfragen kamen die Expertinnen und Experten in den Kleingruppen u.a. zu folgenden Ergebnissen: zur besseren Verwendung der Lageinformationen aus sozialen Medien sollten z.B. die Geodaten von Bildern verfügbar sein, um deren Glaubwürdigkeit überprüfen zu können. Die digitalen Lageinformationen können z.B. durch Rückfragen an den/die Absender_in und den Abgleich mit unterschiedlichen Quellen (z.B. intern vorliegende Informationen, Informationen anderer BOS) auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft werden. Es sollten zudem Übungen zum Umgang mit Lageinformationen aus sozialen Medien angeboten sowie die technischen Voraussetzungen für die Auswertung von sozialen Medien in BOS verbessert werden.

20. Juni 2018, 09:00 Uhr bis 10:30 Uhr

Session 4 A: Analoge und digitale Kompetenzen – Auswirkungen für Einsatzkräfte

Moderation und Gestaltung gemeinsam mit dem Fachdialog Sicherheitsforschung:

Sabrina Ellebrecht, Fachdialog Sicherheitsforschung

Roman Peperhove, Forschungsforum Öffentliche Sicherheit

Diskutanten:

Prof. Dr. Natascha Adamowsky, Universität Siegen

Prof. Dr. Stefan Jarolimek, Deutsche Hochschule der Polizei (DHPol)

Prof. Dr. Peer Rechenbach, Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg (HAW)

Gerold Reichenbach, Mitglied des Deutschen Bundestages a. D.

Im Fokus der Debatte stand zunächst, dass mit Entwicklungen der Digitalisierung eine neue Kommunikations- und Einsatzumgebung für Organisationen des Zivilschutzes einhergeht. Die erhöhte Abhängigkeit von vernetzten Geräten und komplexen Systemen kann somit selbst zur kritischen Infrastruktur werden. In Bezug auf Lagebilder bedeutet Digitalisierung beispielsweise die Ergänzung um Informationen aus sozialen Medien; gleichzeitig birgt die große Menge an potentiell zur Verfügung stehenden Daten neue Selektionsprobleme für die Arbeit von Rettungskräften. Die potentiell rapide Verbreitung von „Fake News“ und Gerüchten im Netz stellt zudem erhöhte Anforderungen an die Kommunikation von Endanwendern mit der Bevölkerung in einem Krisen- oder Notfall. Es wurde betont, dass bei der Nutzung von sozialen Medien durch Polizeien und Rettungsdienste jeweils lokalspezifische Besonderheiten für das Gelingen der Kommunikation zu berücksichtigen sind. In Hinblick auf den Stil von „Posts“ auf Portalen wie Facebook oder Twitter ist Fingerspitzengefühl und Erfahrungswissen für den Umgang mit der Bevölkerung gefragt.

Ein weiterer Schwerpunkt der Diskussion bezog sich auf die Vermittlung geeigneter Kompetenzen, um den digitalen Transformationsprozess konstruktiv zu gestalten. Die rapide Entwicklung der Digitalisierung bedingt, dass Aus- und Weiterbildungsorganisationen für Einsatzkräfte den Umgang mit neuen digitalen Technologien häufig erst reaktiv und nicht schon vorausschauend vermitteln können. Angesichts dieser Dynamik wurde für eine verstärkte Vermittlung von analytischen und methodischen Kompetenzen plädiert, um Rettungskräfte zu einer fortwährenden, eigenständigen Aneignung von Neuerungen im Bereich der Digitalisierung zu befähigen. Für die Zukunft regten die Panelisten an, Forschung zu gesellschaftlichen Auswirkung der Digitalisierung zu intensivieren und wiesen darauf hin, dass zusätzliche Kompetenzen stets von zusätzlichen Ressourcen flankiert werden müssen. Darüber hinaus wurde deutlich, dass die zunehmende Vernetzung von Daten im Zuge der Digitalisierung auch mit einer zunehmenden Vernetzung von Behörden einhergehen sollte.


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